Bilder sind kostbare historische Quellen. Doch wenn wir auf ein historisches Bild schauen, sollten wir unseren Augen nicht zu sehr trauen. Denn oft ist die Geschichte hinter einem Bild anders als das, was wir zu sehen glauben.
Zum oben abgebildeten Foto gibt es nur rudimentäre Angaben. Es trägt keinen Titel, aufgenommen hat es der Basler Missionar Gottlob Walker in Kamerun zwischen 1890 und 1906. Die Szene zeigt im Vordergrund einen Fotografen im weissen Hemd beim Einstellen der Kamera, im Hintergrund befinden sich eine Gruppe von Einheimischen sowie zwei weiss gekleidete Frauen, vermutlich Europäerinnen. Die Einheimischen kehren dem Fotografen den Rücken zu, während die beiden Europäerinnen zu ihm blicken.
Nirgends sind die genauen Umstände festgehalten, weshalb gerade in diesem Moment an diesem Ort ein Bild gemacht werden sollte – und ob überhaupt eines entstanden ist. Es ist jedoch eine der ganz wenigen Fotografien in der Sammlung der Basler Mission, auf denen ein Fotograf einen anderen Fotografen beim Fotografieren fotografiert.
Bilder regen die Vorstellungskraft an
Ab den 1860er Jahren hatten die Basler Missionare – es waren damals nur Männer – den Auftrag, für Publikationen und zur Schulung der Seminaristen im Missionshaus Fotografien von ihren Reisen und Begegnungen zu machen und nach Basel zu schicken. Die daraus entstandene Bildersammlung der Basler Mission mit über 50000 Fotografien ist weltweit einzigartig.
Viele der Aufnahmen scheinen uns eine Geschichte zu erzählen. Mit Blick auf das Bild mit dem Fotografen können wir uns zum Beispiel vorstellen, wie er die Kamera aufbaut und die beiden Frauen inmitten der Einheimischen platziert. Im Kopf der Betrachter*innen entstehen Bilder davon, wie die Szene sich abgespielt haben könnte. Doch je nach Hintergrundwissen des Publikums und je nach Situation liegen die Geschichten, die wir uns beim Betrachten von Bildern vorstellen, weit von der Realität entfernt – und oft lässt sich diese Realität auch nicht mehr rekonstruieren.
Wo, wie und warum?
Was wir zum Beispiel nicht wissen, ist, wie der Fotograf und seine Begleiterinnen in das Dorf gereist sind und um welches Dorf es sich handelt. Was wir wissen aus der Zeit der Aufnahme, was jedoch auf dem Foto nicht zu sehen ist: In den Anfangszeiten der Fotografie betrug das Gewicht einer Fotoausrüstung bis zu 20 Kilogramm. Bekannt ist, dass Missionare auf ihren Reisen die Unterstützung von Einheimischen
hatten, welche die Ausrüstungen und teilweise auch Personen trugen. Es gibt in der Bildersammlung auch Aufnahmen, auf denen diese Träger zu sehen sind, aber immer ohne Namen und damit ohne jegliche Individualität.
Bilder scheinen Geschichten zu erzählen. Doch was sie uns erzählen, ist nicht immer das, was war. Sei es mit Blick auf einen Missionar bei einer Predigt oder auf ein Kind vor einem Haus in Kamerun – wir brauchen mehr als unsere Augen, um von diesen Bildern etwas zu erfahren. Einige solcher Bilder aus der Sammlung der Basler Mission stellen wir Ihnen in den nächsten Ausgaben vor und erläutern, was sie
uns zeigen, vermeintlich zeigen oder auch verschweigen.
Text: Patrick Moser, Mission 21
Dieser Text gehört zur Serie „Ein Bild, eine Geschichte“ und ist in unserem Magazin „begegnen“ erschienen. Weitere Texte der Serie finden Sie auf der Seite zu unserem Forschungsarchiv: ►Forschungsarchiv – Mission 21 (mission-21.org)