Martin Witmer, Sie waren vor Ort in Manyemen für Mission 21 tätig und sind regelmässig im Austausch mit Menschen in der betroffenen Region. Wie kam es zur Schliessung von Manyemen im Juni?
Die Armee führte eine Razzia durch, behauptete, auf dem Spitalgelände hätten sich Rebellen versteckt. Es fuhren Armee-Einheiten aufs Gelände, schossen wild um sich, zerstörten den Wassertank, die Belegchaft flüchtete. Immerhin wurde dabei offenbar niemand getötet oder verletzt. Auch das Dorf Manyemen war verlassen, rund 2‘000 Einwohnerinnen und Einwohner waren in den Busch geflüchtet. Im Juni war Manyemen dann geschlossen.
Sie haben mehrere Jahre als internationaler Mitarbeiter mit Ihrer Unterstützung zum Unterhalt für das Spital Manyemen beigetragen. Wie schwierig war dessen Schliessung für die Bevölkerung?
Das war tatsächlich sehr schwierig. Es handelt sich um ein Spital auf dem Land, also der einzige Ort mit medizinischer Grundversorgung im weiten Umkreis. Hier wird Geburtsvorbereitung angeboten, das HIV-Programm wird hier umgesetzt und HIV-Betroffene Patientinnen und Patienten finden hier Behandlung.
Ende Juni hat ein Teil des Personals den Betrieb in Manyemen wieder aufgenommen, ist das ein Hoffnungszeichen?
Rund ein Drittel der Angestellten ist wieder tätig, darunter ein Arzt, der Apotheker und Pflegerinnen. Das ist tatsächlich ein kleines Hoffnungszeichen, denn es zeigt, die Leute versuchen, das Leben wieder in die Hand zu nehmen. Landwirtschaftliche Arbeit ist zwar behindert, aber im Spital beginnt etwas.
Wie ist die Situation allgemein für die Bevölkerung in den beiden englischsprachigen Provinzen?
Die Bevölkerung leidet sehr unter dem Konflikt zwischen Separatisten und Regierung. Als ich im Januar 2018 aus Kamerun ausgereist bin, war die Lage schon angespannt, es gab immer wieder Tote bei Angriffen der Separatisten oder der Regierungstruppen. Seither hat die Gewalt weiter zugenommen, zahlreiche Dörfer wurden zerstört. Insgesamt dürften rund 160‘000 Menschen auf der Flucht sein. Die UNHCR (Flüchtlingshilfsorganisation der UNO) registrierte 21‘400 kamerunische Flüchtlinge im Nachbarland Nigeria – es dürften aber weitere 40‘000 sein.
Was bedeutet das konkret für die Menschen?
Viele sind in den Regenwald geflohen oder ins Buschland. In Kamerun selbst gibt es keine Flüchtlingslager. Seit Beginn der Regenzeit im Juli ist es gesundheitlich schwierig. alles ist sumpfig und nass, die Ansteckungsgefahr steigt, Frauen, besonders Schwangere, und Kinder sind am meisten gefährdet. Im Urwald kommt man viel schlechter voran. Darum ist es sehr wichtig, dass Manyemen nun wieder teilweise geöffnet ist. Der Ort ist auch zum Zufluchtsort für einige Geflohene geworden, sie halten sich auf dem Gelände auf.
Mission 21 hat für die Bevölkerung ein Nothilfe-Programm eingerichtet. Wie wichtig ist Nothilfe in dieser Situation?
In Kamerun muss man heute leider von bürgerkriegsähnlichen Zuständen sprechen. Es stehen sich die Regierungstruppen und drei unterschiedliche separatistische Kampfverbände gegenüber. Die Geflüchteten befinden sich vor allem im Regenwald und Buschland, ohne Unterkünfte und Schutz. Darum ist es wichtig, dass diese Betroffenen zunächst mit dem Wichtigsten versorgt werden: Nahrungsmittel, medizinische Hilfe und Zelte. Die Flüchtlinge erreichen können Teams, die Zugang zu den improvisierten Lagern im Wald haben. Später sollte man ihnen auch Unterstützung zukommen lassen, dass sie selber wieder Unterkünfte bauen können, dass sie Getreide und Gemüse aussäen können und sich wieder selbst versorgen können.
Interview: Christoph Rácz