Was unterscheidet den Alltag einer Hebamme im Südsudan von dem in der Schweiz? Und wo gibt es Gemeinsamkeiten? Ein Gespräch.
Nyanagun Tut Koul ist 25 Jahre alt. Sie kam im Sudan zur Welt. die Familie floh 2006 nach Uganda. 2016 begann sie die Ausbildung zur Hebamme in der Schule der PRDA (lokaler Partner von Mission 21). Heute lebt Nyanagun im Bundesstaat Jonglei im Nordosten des Südsudans. Seit drei Jahren arbeitet sie dort als Hebamme für die Organisation Ärzte ohne Grenzen. Sie nimmt teil am Jugendbotschaftsprogramm von Mission 21 und war in diesem Rahmen im Juni 2022 in der Schweiz.
Babice Schlumpf-van Waardenburg ist 28 Jahre alt. Sie kam in den Niederlanden zur Welt, verbrachte ihre Kindheit in Davos und lebt heute in Basel. Sie hat in Basel Psychologie studiert und ist im zweiten Jahr ihres Bachelor-Studienganges zur Hebamme. Dazu arbeitet sie Teilzeit in der Abteilung Marketing und Kommunikation von Mission 21.
Beim Besuch von Nyanagun in Basel haben sie sich über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten ihres Berufsalltags im Südsudan und in der Schwiez ausgetauscht.
Nyanagun, Babice, was motiviert Euch, als Hebamme zu arbeiten?
Nayanagun: Ich möchte anderen Menschen helfen – und als Hebamme kann ich genau das tun: Frauen im Südsudan helfen.
Babice: Bei mir ist es ähnlich: Ich möchte Frauen in einem der wohl wichtigsten Momente ihres Lebens unterstützen, bei einer Erfahrung, die sie zumindest als Erstgebärende zuvor nie gemacht haben.
Ihr arbeitet in sehr unterschiedlichen Kontexten. Im Südsudan sterben gemäss Unicef 1150 von 100 000 Frauen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt. In der Schweiz sind es fünf. Im Südsudan wird nur ein Viertel aller Geburten von einer Hebamme begleitet.
Nyanagun: Wir haben wenige Hebammen, doch es werden mehr. Auch dank der Schule, die Mission 21 unterstützt. Seit unser Jahrgang abgeschlossen hat, wurden im Spital, in dem ich arbeite, zahlreiche Stellen besetzt. Wir tragen dazu bei, die Mütter- und Kindersterblichkeit im Südsudan zu senken.
Was sind die grössten Herausforderungen?
Nyanagun: Die Infrastruktur. Wir haben keinen Operationssaal für Kaiserschnitt-Geburten im Spital, die Frauen müssen per Flugzeug verlegt werden. In der Regenzeit ist das manchmal schwierig, weil die Piste überschwemmt ist. Aber mein Arbeitgeber bemüht sich sehr, allen Frauen zu helfen. Babice: Es muss extrem schwierig sein, so zu arbeiten… Wir sind sehr gut ausgerüstet. Neben medizinischen Anforderungen besteht die Herausforderung im Spital vor allem darin, die Frauen so zu begleiten, wie es für sie stimmt – ihnen also im Spital-Umfeld die Zeit und Ruhe zu geben, die sie brauchen.
Wie laufen Eure Arbeitstage ab?
Babice: Hebammen in Schweizer Spitälern arbeiten meist in drei Schichten à jeweils acht Stunden. Wir arbeiten nur auf einer Station, also ausschliesslich im Gebärsaal oder auf der Wochenbett-Abteilung. Im Spital in Rheinfelden, wo ich arbeite, gibt es im Schnitt 40 Geburten pro Monat.
Nyanagun: Das Spital, in dem ich arbeite, ist das grösste in der Region. Wir sind fünf Hebammen. Manchmal begleiten wir 90 Geburten pro Monat. Dabei übernehmen wir alle Aufgaben von der Vorsorge über die Geburtshilfe bis zur Betreuung im Wochenbett. Die Morgenschicht dauert sechs Stunden, die Nachtschicht 12 Stunden.
Warum ist die Nachtschicht so lang?
Nayanagun: Aus Sicherheitsgründen. Die Sicherheitslage im Südsudan ist jetzt nach dem Krieg sehr schlecht, wir können in der Nacht unseren Arbeitsweg nicht zurücklegen.
Wie sieht die Vor- und Nachsorge aus?
Nyanagun: An manchen Tagen sind wir in den Dörfern unterwegs, um die Frauen zu informieren, dass sie zur Geburt ins Spital kommen sollen, damit wir bei Komplikationen helfen können. Manche müssen dafür zwölf Stunden Fussmarsch auf sich nehmen. Nach der Geburt bleiben sie höchstens zwei Tage.
Babice: In der Schweiz bleiben Mütter nach der Geburt bis zu fünf Tage im Spital. Danach haben sie Anspruch auf 16 Hausbesuche einer Hebamme, die über die Krankenkasse abgerechnet werden. Nyanagun: Das gibt es bei uns nicht. Aber das Spital ist für alle offen, die Geburtshilfe ist also kostenlos.
Wie steht es mit Todesfällen im Spital?
Babice: Das habe ich bisher zum Glück nicht erleben müssen.
Nyanagun: Die meisten Komplikationen gibt es bei unbegleiteten Hausgeburten. Daher ist es so wichtig, dass die Frauen ins Spital kommen. Der schlimmste Moment in meinem Berufsleben war ein Fall, wo wir das Leben eines Babys opfern mussten, um die Mutter zu retten. Sie war erst 16-jährig.
Nyanagun, kannst du uns von Deiner Ausbildung an der Hebammenschule erzählen?
Nyanagun: Ich kam über einen Aufruf in der Kirche zu der Ausbildung, ich lebte damals mit meiner Familie in Uganda. Die Schule befand sich wegen des Kriegs im Exil in Kenia. Als ich ankam, war ich schockiert. Die Gegend war exrem heiss und trocken, ein herausforderndes Umfeld. Aber die Schule war sehr gut. Die Lehrkräfte sind gut ausgebildet und haben uns motiviert, trotz aller Probleme weiterzumachen. Nach einem Jahr mussten wir wegen Konflikten den Standort wechseln und studierten von da an im Flüchtlingslager Kakuma. Das war auch eine harte Erfahrung. Aber wir haben es geschafft, wir haben die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und leisten nun im Südsudan einen wichtigen Beitrag!
Was war die schönste Erfahrung bisher?
Nyanagun: Ich bin jedesmal froh, wenn eine Geburt gut verläuft. Besonders erleichtert war ich einmal bei einer sehr jungen Mutter, bei der die Ausgangslage nicht gut war, aber am Ende alles problemlos ablief.
Babice: Für mich war der berührendste Moment bisher die erste Geburt, bei der ich dabeisein durfte. Es war keine einfache Geburt, eine Saugglocke kam zum Einsatz. Aber mich hat es sehr beeindruckt, wie die Mutter alles gemeistert hat und wie ihr Partner ihr dabei Kraft gab.
Interview: Miriam Glass, Mission 21