Ob in der Schweiz, wo die Islamfeindlichkeit um sich greift, oder im mehrheitlich muslimischen Indonesien, wo Hass und Gewalt gegenüber Christen und anderen religiösen Minderheiten seit einigen Jahren zunimmt: Religionen sind ein ambivalentes Thema. Weltweit stiften sie Zugehörigkeit und Sinn, werden aber gleichzeitig oft Ursache von Konflikten – oder durch Machthaber für Konflikte instrumentalisiert.
Was braucht es für ein friedliches Miteinander zwischen den Religionsgruppen, in Indonesien und in der Schweiz? Und welche Rolle spielt dabei die Jugend? Das wollte die Veranstaltungsreihe von Mission 21 “Dialog International” am 19. September 2019 von Aktivistinnen und Aktivisten aus der Schweiz und Indonesien wissen. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Herbstkampagne “Frieden wächst mit uns” statt.
Indonesien: Einheit in der Vielfalt?
Aus Indonesien angereist sind dafür Wawan Gunawan, Muslim, und Yunita Tan, Katholikin. «Ein wichtiges Merkmal Indonesiens ist die Vielfalt. Doch diese Vielfalt wird seit einigen Jahren von fundamentalistischen Gruppierungen bedroht», sagt Wawan Gunawan. «Es werden immer wieder Kirchen oder Bauten anderer religiöser Minderheiten geschlossen. Auch die Gewalt und Diskriminierung gegen Andersgläubige nimmt zu.» Er gehört mit dem Islam der indonesischen Mehrheitsreligion an – und er beobachtet die zunehmende Radikalisierung von Staat und Gesellschaft in seinem Heimatland mit grosser Sorge. Gemeinsam mit vielen anderen engagiert sich der Muslim im interreligiösen Jugendnetzwerk Jakatarub. «In Indonesien sind sechs Religionsgruppen offiziell anerkannt. Doch bei Jakatarub sind alle willkommen, auch Atheisten», erklärt Wawan Gunawan.
Bereits seit 2001 setzt sich diese bunt gemischte Gruppe für ein ebenso vielfältiges und buntes Indonesien ein – mit einer breiten Palette an Aktivitäten, Kampagnen und interreligiösen Treffen. Das Netzwerk organisiert zum Beispiel jährlich ein interreligiöses Jugendcamp, das bereits mehrere unabhängige regionale Ableger hat. Auf Social Media und auf den Strassen Bandungs in Westjava ist die Gruppe mit Kampagnen aktiv und will mehr Menschen von einem friedlichen Miteinander begeistern. «Im Zentrum unserer Arbeit steht die offene, freundschaftliche Begegnung und der Respekt füreinander», sagt Yunita Tan.
Gegenseitiges Verständnis fördern
Freundschaften aufzubauen ist auch ein zentrales Anliegen des Forums “Junge Christen und Muslime Schweiz”, das mit der Christin Fabienne Iff und dem Muslim Burim Luzha am “Dialog International” vertreten war. Der interreligiöse Verein wurde erst im Jahr 2016 offiziell gegründet, doch die ersten Begegnungen und Aktivitäten der Mitglieder, die vor allem christlichen und muslimischen Studierendengruppen angehören, gehen auf das Jahr 2012 zurück.
Vom gemeinsamen, interreligiösen Engagement für Vertriebene bis hin zur interreligiösen Theologiestunde bringt der Verein Christinnen und Muslime zusammen und fördert so das gegenseitige Verständnis. «Uns ist beides wichtig: Einerseits der theologische Austausch, aber auch, dass wir als Muslime und Christen gemeinsam gesellschaftliche Aufgaben übernehmen und uns so annähern», sagt Burim Luzha.
«Hier in der Schweiz sind wir mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert als Jakatarub», merkt Fabienne Iff an. «Wir haben keinen religiösen Staat, sondern müssen uns als Religionsgemeinschaften allgemein zu einem säkularen Staat und einer säkular geprägten Mehrheitsgesellschaft verhalten.»
Menschlichkeit im Fokus
Die jungen Menschen aus der Schweiz und Indonesien sind sich darin einig, dass für einen offenen, interreligiösen Dialog vor allem eines wichtig ist: «Wir müssen andere Menschen ernst nehmen und anerkennen», betont Burim Luzha – sogar, wenn jemand eine völlig andere Meinung habe oder selber sehr intolerant sei. Fabienne Iff erklärt: «Wenn wir radikal religiöse Personen einfach als total daneben darstellen, erreichen wir wahrscheinlich wenig. Wir müssen vielmehr Verständnis aufbringen für ihre Situation und dafür, dass ihre Meinung und Haltung in vielen Jahren aufgebaut und meist durch ihr Umfeld konditioniert wurde.» Solche Identitäten abzulegen, sei extrem schwierig – «vor allem, wenn man ihnen mit einer rein ablehnenden Haltung begegnet.»
Auch Wawan Gunawan spricht viel von Kommunikation und Verständnis – auch, wenn etwas so unerklärlich erscheint wie Gewalt:« Wenn zum Beispiel eine Kirche angegriffen wird, gehen wir direkt hin und sprechen mit den Tätern. Das ist nicht einfach, braucht Zeit und gelingt nicht immer. Dennoch ist es der einzige Weg und wir tun es immer wieder.»
Wawan Gunawan betont auch, dass die Beweggründe für solche Taten oftmals gemischt seien: «Viele gewaltbereite Muslime zum Beispiel sind stark armutsbetroffen und entladen ihre persönliche Wut durch Angriffe auf Minderheiten.» Dies entschuldige die Taten nicht – doch ein Verständnis für die strukturelle, soziale Dimension der Gewaltbereitschaft sei neben einer Auseinandersetzung mit den Ideologien wichtig.
Fabienne Iff sagt: «Als junge Menschen haben wir den Vorteil, dass unsere Identitäten noch nicht so festgefahren sind. Junge sind oft noch formbar, lassen sich schneller als ältere Menschen von mehr Offenheit überzeugen. Dadurch haben wir aber auch eine grosse Verantwortung!»
Mit grosser Leidenschaft dabei
Spürbar war am Anlass vor allem das Herzblut, das alle vier jungen Friedensbotschafterinnen und –botschafter in das interreligiöse Engagement stecken: «Ich lerne jedes Mal so unglaublich viel – sei es nun im theologischen oder im persönlichen Austausch», sagt etwa Fabienne Iff. Burim Luzha sagt, dass er den interreligiösen Austausch einerseits gesellschaftlich sehr wichtig finde, es aber mittlerweile vor allem zu einer Leidenschaft für ihn geworden sei.
«Ich kann mir mein Leben ohne Jakatarub nicht mehr vorstellen!», sagt Wawan Gunawan aus Indonesien. Und seine Kollegin Yunita Tan doppelt nach: «Dank Jakatarub kann ich mein Leben einer sinnvollen Tätigkeit widmen.» Als Katholikin mit chinesischen Wurzeln wird die junge Frau gleich mehrfach diskriminiert – aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Religion und ihres Geschlechts. Der Hass in Indonesien gegen Chinesen werde gezielt geschürt, auch durch den Staat. «Meine Familie macht sich Sorgen und ich erzähle ihnen nicht alles über mein Engagement für Jakatarub, zum Beispiel verschweige ich ihnen meine Teilnahme an Demonstrationen. Doch zum Glück habe ich selber im Vergleich zu meinen Eltern weniger schlimme Erfahrungen mit Gewalt und Diskriminierung gemacht. Auch dadurch kann ich offener und positiver auf Menschen anderer Religionszugehörigkeit zugehen. Jakatarub gibt mir jeden Tag beim Aufstehen die Hoffnung, dass Indonesien Stück für Stück besser wird.»
Text und Foto: Mara Wirthlin
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