Warum stricken die jungen Frauen auf diesem Bild? Und wer hat sie vor der Kamera platziert? Um historische Bilder zu „lesen“, brauchen wir oft zusätzliche Informationen, die über das, was wir sehen, hinausgehen.
Dieses Jahr stellen wir einige Fotografien aus dem historischen Forschungsarchiv von Mission 21 vor, die das Bewusstsein dafür schärfen, dass ein Bild ohne zusätzliche Informationen falsche Assoziationen auslösen kann. So auch das hier gezeigte Bild mit dem Titel «Strickende Schülerinnen».
Auf dieses Bild aufmerksam geworden sind wir durch einen Artikel von Paul Jenkins, dem ehemaligen Archivar der Basler Mission, der das Bild im Buch «Getting Pictures Right»* analysiert hat. Dargestellt ist eine Gruppe junger Frauen in Fumban, der Hauptstadt des Königreichs Bamum, im Hochland von Kamerun. Im Hintergrund sichtbar ist Anna Wuhrmann, Lehrerin an der Mädchenschule. Ein Teil der Gruppe ist am Bildrand abgeschnitten.
Durchkomponierte Aufnahme
Vielleicht hat Anna Wuhrmann, die selbst fotografierte, das Bild mit Selbstauslöser gemacht. Mit Sicherheit wurde es im Vornherein durchkomponiert, etwa indem die nackten Oberkörper der Frauen durch die Strickerei verdeckt wurden. Die stehende Frau ganz links scheint sich dessen mit den umgehängten Socken vor der Brust und dem verschmitzten Grinsen durchaus bewusst zu sein.
Im ersten Augenblick scheint das Bild die typische Vorstellung von Mission zu zementieren. Junge Frauen in Kamerun müssen Handarbeiten, hier das Stricken, lernen, um dem westlichen Ideal einer christlichen Hausfrau zu entsprechen. Dabei wird in keiner Weise auf Gebräuche oder das Klima im Missionsgebiet eingegangen. Dieser Fokus ändert sich durch ein Dokument, in dem Anna Wuhrmann einige ihrer Bilder beschrieben hat, darunter auch dieses.
125 Paar Socken in zehn Wochen
Kamerun war seit 1884 eine deutsche Kolonie. Nach dem Ausbruch des 1. Weltkriegs 1914 besetzten die Franzosen und Engländer zuerst die Küsten, so dass das Innere das Landes vom Nachschub abgeschnitten war. Die Kleider der Soldaten litten sehr, konnten jedoch nicht ersetzt werden. Anna Wuhrmann schreibt: «Der deutsche Gouverneur liess im Juni 1915 an alle deutschen Frauen, die noch in der Kolonie waren, die Bitte richten, für die diensttuenden Soldaten Socken zu stricken, 800 Paar.»
Der König von Fumban sah sich damals als Alliierter des deutschen Kaisers an. Die Schülerinnen strickten in zehn Wochen 125 Paar Baumwollsocken für die Soldaten und folgten damit ihrem König, der Deutschland bis zum Ende des Krieges unterstützte. Das Bild ist somit ein spannendes Beispiel für die koloniale Verflechtung der Mission, das aber erst mit zusätzlichen Informationen richtig gedeutet werden kann.
Text: Andrea Rhyn, Mission 21
*Paul Jenkins «Camera evangelista – camera lucida? Trans-border experiences with historical photographs from a mission archive», in: «Getting Pictures Right», 2004, Hrsg. von M. Albrecht, V. Arlt, B. Müller & J. Schneider